„Mechanik” des Rentensystems

I. Das Umlage-finanzierte System

Rentenbeiträge+staatliche Zuschüsse = Verwaltungskosten¹+Rentenzahlungen²   (1)

 ¹) nur etwa ein Zehntel der durchschnittlichen Verwaltungskosten von Riester-Renten

 ²) inklusive staatlich auferlegten versicherungsfremden Extraleistungen

„Axiom” 1: Es gibt keine Rentenkasse.

Der Eindruck einer Rentenkasse, in die der Einzelne als Arbeitnehmer einzahlt und später daraus seine Rentenauszahlungen erhält, wird dadurch erzeugt, dass für die gesetzlich Ren­tenversicherten Entgelt-Punkte gesammelt werden. Damit verwechselt wird oft die winzige Nachhaltigkeitsrücklage zum Ausgleich der zwischenjährlichen Ausgabenschwankungen.

„Axiom” 2: Sozialaufwand kann nicht vorab monetär erspart, sondern nur aus aktueller Wirtschaftsleistung erbracht werden (Mackenroths Gesetz).

Grund: Da alle Geldvermögen = alle Schulden, sind Geldvermögensänderungen global = 0.

Gleichung (1) kann bei demografischem Wandel verschieden erfüllt werden:

I.1.: Rentenorientierung

Nach der gut vorausschätzbaren Rentenzahlungssumme des nächsten Jahres wird der Beitragssatz ein halbes Jahr vorher nach dem vorausgeschätzten Bedarf festge­setzt. So wird der Beitragssatz zum nächsten 1. Juli entsprechend nach oben bzw. unten angepasst, wenn am 1. Januar die Nachhaltigkeitsrücklage 20% der durch­schnittlichen Monatsausgaben unterschreitet bzw. 150% überschreitet.

Die bis 2025 vorgesehenen „Haltelinien“ für das Sicherungsniveau von 48% (und Beitragssatz 20%) kehren dazu zurück — ohne gesicherte Gegenfinanzierung.

I.2.: Beitragsorientierung

2001 wurde eine stufenweise Begrenzung der Beitragssätze  (die modifizierte Brut­to-Anpassung in der Rentenanpassungsformel) mit formeller Senkung zukünftiger Rentenzahlungen beschlossen — eine Enteignung (trifft später auch Beitragszahler).

I.3.: Verteilung der Belastungen nach sich wandelnden Anteilen

Seit 2005 berücksichtigt der Nachhaltigkeitsfaktor in der Rentenanpassungsfor­mel Verschiebungen der Anteile zwischen Beitragszahlern und Rentnern — fälschlich als „neuer demographischer Faktor“ und Dämpfungsfaktor diffamiert. Da die Bei­tragszahler 2011-2017 stärker zunahmen als die Rentner,  dämpfte er kumuliert  erst 2019/2020 die Rente (⇒Tabellen). Die alte Rentenanpassung ohne Riester-Komponente, nur ergänzt um diesen Faktor, wäre Generationen-gerecht gewesen.

Alternativ (bzw. in Kombination mit einer der Lösungen I.1 bis I.3, diese abmildernd):

I.4.: Verschiebung zwischen Arbeitsjahren und Rentenjahren

Für die Geburtsjahrgänge 1947 bis 1964  wird die Regelaltersgrenze schrittweise  seit 2012 angehoben: bis 2029 um 1 Monat, später um 2 Monate pro Jahrgang.  Dies — wie auch der 1997 beschlossene, aber nicht in Kraft getretene Blüm‘sche „demographische Faktor”, begründet mit der verlängerten Restlebenszeit, also ohne direkten Bezug zum demografischen Wandel — belastet die Jüngeren, die aber wohl auch länger leben werden. Die Wirkung addiert sich zu den anderen Maßnahmen.

Auch vorher konnte man schon früher oder später in den Ruhestand wechseln unter Inkaufnahme eines entsprechenden (dauerhaften !) Ab- oder Zuschlags zur Rentenhöhe. In einigen Ländern ist das Renten­eintrittsalter (gegen entsprechenden bleibenden Ab- oder Zuschlag) sogar ganz frei wählbar.

II. Das Kapital-gedeckte System (Riesterrente, Betriebsrente)

Zwar ist das Sparen von Geldvermögen in gesamtwirtschaftlichem Maßstab unmöglich, aber dieser Effekt kann stattdessen durch eine Kette von Schuldverhältnissen erzielt werden über das Prinzip kapitalgedeckter Renten: Das Sammeln und Investieren von Kapital, Generierung von Zinsen und spätere Rückzahlung aus Kapitalerträgen — das Geschäft von Pensionsfonds, Versi-cherungen und Investmentbanken.

Bei der Riester-Rente ging man von einer durchschnittlichen Rendite von etwa 4 % aus. Da gab es Theorien von einem „natürlichen“ Zins. Heute steht fest, dass die Zinshöhe sich nur nach dem von der Zentralbank festgelegten Refinanzierungszins für die Banken richtet. Wie finanzieren sich die Riester-Versicherer in Zeiten von Negativzinsen? Schlecht. Zugesagte Garantiezinsen werden aus dem Neugeschäft abgezweigt. Wir müssen bald mit der Insolvenz einiger Kapitalsammler rechnen.

III. Übergang zwischen den beiden Systemen

Definition „Riester-Treppe“: Eine Tabelle mit Prozentangaben für einen sogenannten (fiktiven) „Altersvorsorgeanteil“ AVA für jedes Jahr seit 2002. Sie wird auch nach 2012 jedes Jahr mit dem Endstand 4 % weitergeführt.

Das Umlageverfahren kann nicht spontan verlassen werden, denn die alten Rentner haben ja noch Ansprüche aus vorher erworbenen Entgeltpunkten, die berücksichtigt werden müssen. Für die Riester-Reform wurde eine allmähliche, möglichst unmerk­bare Senkung der Alt-Ansprüche in 8 Halbprozent-Schritten beschlossen (siehe „Rie­ster-Treppe“).  Ziel war die Absenkung des Beitragssatzes um 4 %  —  damals also etwa um ein Fünftel.  Schutzklauseln verschoben die direkt merkbaren Renten­sen­kungen auf später,  was die Absenkung auf 11 Jahre verteilte.   Die weniger sichtba­re Kaufkraftentwertung wurde zur Teil-Enteignung der Rentenansprüche benutzt. Eine Absenkung um mehr als ein Fünftel pro Generation gilt als kaum verkraftbar.

Ohne eine solche Absenkung vorhandener Rentenansprüche müsste der Staat die überschüssigen Rentenzahlungen selbst leisten, ohne dass die geringer gewordenen Beitragsverpflichtungen ausreichten. In Ungarn drohte der so ausgelöste Schulden­anstieg den Staatshaushalt derart zu überfordern, dass der Teilumstieg auf Kapital­deckung durch Überführung der Fonds in die Staatsrente zurückgenommen wurde.

Die „Riester-Treppe“ bleibt Teil des Gesetzes, wenn auch vorerst ohne weitere Wir­kung. Sie könnte in der nächsten Generation für eine weitere Anspruchsabsenkung benutzt werden. Aber über sinkende AVA-Prozentsätze hätten die Renten-Ansprü­che auch wieder auf die Ursprungshöhe angehoben werden können, was allerdings für die inzwischen Verstorbenen zu spät käme. Eine verpasste Chance …

Pharao-Prinzip“: Staatliches Vorsorgen verhindert kurzsichtige individu­elle Vorteilsnahmen. „Eigenverantwortung“ funktioniert dagegen schlecht.

Der biblische Pharao ließ — nach den beiden Träumen mit 7 Kühen — Getreide einlagern, da­mit die Bauern nicht durch unterlassene Vorsorge einem nur zeitweisen Vorteil nachgaben.

Die Riester-Reform, die Senkung des Rentenniveaus und die (verständliche) Zurückhaltung bei der Riester-Vorsorge werden viele Rentner in die Armut führen — auch die jetzigen Beitragszahler, wenn sie später Rentner werden.

Oskar Fuhlrott, Version 15.3.2020, Abruf