Sinnhaftigkeit einer Schuldenbremse?

Wenn der Staat in 7 theoretisch möglichen Fällen Überschüsse und in 7 theoretisch mög­lichen Fällen Defizite erzielt, fragt sich schon, ob man diese Fälle alle über einen Kamm scheren soll. Da die Finanzsalden der vier Sektoren in Wechselwirkung stehen, also sowohl der staatliche Saldo von den anderen Sektoren beeinflusst wird (Haushaltsplan hin oder her) als auch die Finanzsalden der anderen ebenso vom staatlichen Saldo — ist die Frage vielmehr: welcher Sektor soll eher Überschüsse machen und welcher eher Schulden?

Der erste Bundesfinanzminister, Fritz Schäffer, ließ bis 1957 den sogen. „Julius-Turm” mit über sieben Milliarden Mark „zusammensparen” (wie er jedenfalls meinte). Damaliger Kommentar von Prof. Fritz Baade [Baade]: „Eine finanzielle Vorsorge für die Zukunft gibt es, volkswirtschaft­lich gesehen, überhaupt nicht.” Schäffer tut „etwas ganz Schreckliches. Er vernichtet das schöne Geld, das er durch allzu wirksame Finanzpolitik dem Steuerzahler abgenommen hat.”

Prof. Fabian Lindner hat für die fes zu den Wechselwirkungen mit den drei ande­ren Sektoren bzgl. Defiziten/Überschüssen (oder Schulden/Guthaben) Empfehlungen gegeben: „Es ist ein weit verbreiteter Trugschluss, anzunehmen, der Staat könne seine Schulden wie eine Privatperson einfach durch strengeres Sparen verringern”.

Der „Staat kann seine Schulden nur abbauen, wenn er anstelle von Einnahmedefiziten Über­schüs­se erwirtschaftet, also weniger ausgibt als er einnimmt” [F. Lindner]. Der Bundestag z.B. kann es zwar beschließen, aber entscheiden kann er es nicht, denn die anderen drei Sektoren wirken eigenständig durch ihre Finanzsalden mit und können es stören oder verhindern.

 Privathaushalte:  Finanzsaldo + Sachvermögensbildung = Sparquote.

Aspekt Firmen Privathaushalte Staat Ausland
akt. Finanzsaldentrend:
Finanz-
Entwicklung:
  Ausgaben   
 Einnahmen 
  Ausgaben   
 Einnahmen 
  Ausgaben   
 Einnahmen 
  Ausgaben   
 Einnahmen 
das heißt: Investitionen▼ Konsum▼
also Binnen-Nachfrage: unterdurchschnittlich gewachsen
Aber: Geldersparnis hier nur möglich, wenn diese Ausgaben so bleiben

F. Lindner: „Ohne die hohen Ausgaben des Auslands und die konstanten Ausgaben des Staates hätte der deutsche Privatsektor seine Überschüsse nicht aufrechterhalten können”. Eine „Redu­zie­rung der staatlichen Defizite” muss „entweder zu geringeren Einnahmen der Restwirtschaft oder über Steuer- und Abgabenerhöhungen zu höheren Ausgaben führen”. Kreditfinanzierung erwähnt er nicht, und somit sagt er auch nicht, die ältere Generation bediene sich zu Lasten der jüngeren.

„Wenn die Reduzierung … Wachs­tum und Beschäftigung stützen soll, sollten damit keine Ausgaben gesenkt, sondern Steuern so erhöht werden, dass sie die Ausgaben der Privatwirtschaft … konstant halten und nur ihre Geldersparnis verringern.”

F. Lindner: „Unternehmen haben” die Aufgabe, „zu investieren und nicht selbst zu sparen.” Der Staat sollte die „Finanzialisierung”, d.h. „die Geldvermögensbildung der Unternehmen steuerlich” ahnden und „die Sachvermögensbildung” belohnen.

Eine „Reduzierung des staatlichen Defizits” kann nur gelingen, wenn „die restlichen Sektoren eine Verringerung ihrer Geldersparnis” zulassen. Es „kann ein Teufels­kreis entstehen, in dem höhere Steuern die Ausgaben senken, was zu sinkender Produktion und steigender Arbeitslosigkeit führen würde.” [F. Lindner]

  Vernünftig wäre also statt prinzipieller Vorschrift jeweils eine situative Anpassung.


[Baade] Fritz Baade: Das Märchen vom Julius-Turm”. DIE ZEIT, 12.1.1956.

[F. Lindner] Fabian Lindner: „Was man bei der Reduzierung der Staatsschulden beachten muss”. fes, WISO direkt, Juni 2023.


  2023, Oskar Fuhlrott, abgerufen am