F - Gesamtwirtschaftliche Modellbildung

Anders als in den Naturwissenschaften verbieten sich in der Ökonomik Experi­mente am Zielobjekt. Erkenntnisgewinn ist nur über Modellbildung zu erwar­ten. Es gibt drei anspruchsvolle gesamtwirtschaftliche Modellbildungsmethoden[1]: DSGE-Modelle, Agenten-basierte Modelle und dy­namische SFC-Modelle.

• DSGE-Modelle, dynamische stochastische allgemeine Gleichgewichtsmodelle (auch DGE-Modelle):

„Sie leiten individuelles Verhalten aus intertemporalen Optimierungen der Haus­halte und Unternehmen her (Mikrofundierung).” Sie beschreiben (ver­mutete) allgemeine Gleichgewichte und „beruhen meist auf der Annahme ratio­naler Erwartungen.” „Die Berücksichtigung von volkswirtschaftlichen Schocks verleiht die­sen Modellen einen stochastischen Charakter.” Sie „wurden kritisiert, weil sie in der Prognose und Bewältigung der Weltfinanzkrise nicht überzeugt hätten …”.[1]

„Neu-Keynesianer versuchen durch eine Mikrofundierung von Verhaltensweisen … makroökonomische Prozesse besser zu verstehen.”[2] Der Versuch einer Mi­krofundierung „auf der Grundlage des walrasianischen Allgemeinen Gleichge­wichtsmodells … kann als gescheitert angesehen werden. Es hat sich insbe­sondere nach der soge­nannten Cambridge-Cambridge-Debatte der 60er Jahre gezeigt, dass auf mikro­ökonomischer Basis keine harten makroökonomischen Aussagen ab­leitbar sind, solange nicht vollkommen willkürliche Annahmen wie die Exi­stenz nur eines Kapitalgutes oder einer gleichen Kapitalintensität in allen Bran­chen gesetzt werden … . Alle üblichen neoklassischen Aussagen gelten im Rahmen der walrasianischen Allgemeinen Gleichgewichtstheorie nicht.”[2] „Auch kann bei einem Ungleichgewicht bei Arbeitslosigkeit nicht gesagt wer­den,” wohin „sich der Reallohn bewegen soll, um ein Gesamtgleichge­wicht …  zu schaf­fen. Eine substantielle Mikrofundierung ist somit aus methodischen Gründen … unmöglich.”[2]

• Agenten-basierte Modelle, agent-based computational economics (ACE)

„Davon zu unterscheiden sind agenten-basierte Ansätze” mit ‚repräsentativen Handelnden’, „die die strengen Rationalitäts- und Homogenitätsannahmen der mikrofundierten Makroökonomik lockern (wie z.B. Übergang von rationalen zu begrenzt-rationalen Erwartungen) und stärker verhaltensökonomisch fundiert sind.”[3] Auch sie bleiben in der mikroökonomischen Sicht gefangen.

„Die repräsentativen Agenten werden mit Hilfe der mikroökonomisch üblichen Optimierungsannahmen (wie Nutzen- und Profitmaximierung) analysiert.” Dies „verschleiert, dass die Agenten beliebig gestaltet werden können.” „Das ge­wünschte Ergebnis scheint dann die entsprechenden Annahmen auf Mikroebene zu motivieren.”[4] „Eine überzeugende Mikrofundierung der Makroökonomie stellt der Ansatz nicht dar, da vom Verhalten einer Mikroeinheit nicht auf das Verhalten einer Makrogröße geschlossen werden kann.”[5]

Am Beispiel des Gesamtgewinns, der sich monetär aus Gesamtumsatz - Gesamtkosten ergibt[6] und sich dann nach den relativen Wettbewerbsfähigkeiten der Firmen nach unten auf die Un­ternehmen verteilt, wird deutlich, dass eine Mikrofun­dierung von den Firmen nach oben zum Gesamtgewinn nicht praktikabel ist. Und in den DSGE- und Agen­ten-basierten Modellen hat Geld keinen Einfluss.

• dynamische Stock-Flow-Consistent Modelle

SFC-Modelle basieren auf Bestands- und Flussgrößen-konsistenten dynami­schen volkswirtschaftlichen Modellen, „welche die Dynamik in den Bi­lanzen … der Wirtschaftssektoren beschreiben.”[7, 8] „… lässt sich mit Hilfe der Analyse sektoraler Salden die Konsistenz wirtschaftspolitischer Vorschläge prüfen.”[9]

„SFC-Autoren aus der postkeyne­sianischen Tradition … lehnen die klassische … Zweiteilung einer Volkswirt­schaft in den realen und den monetären Sektor, die Neutralität des Geldes so­wie die allgemeine Gleichgewichtstheorie und die darauf aufbauenden Modelle ab. Statt­dessen wollen sie die Dynamik der Geld­flüsse und der sektoralen Finanzie­rungssalden modellieren.”[83] Letztlich liegt wieder die gute alte kaufmännische Buchführung (double entry bookkeeping) zugrunde — die einzige mir bekannte Methode, um Bestands- und Stromgrö­ßen in einem System gleichberechtigt zu behan­deln — allerdings nicht auf T-Konten, sondern einer Art Amerikanischem Journal. Die Modelle wurden insbe­sondere seit der Weltfinanzkrise 2008 popu­lärer, „da einige Autoren mit Bilan­zierungsmodellen die kritischen Entwicklungen vorhergesehen hatten. Wynne Godley”[→11] (leider 2010) „hatte seit … 2000 … gewarnt, der US-Hausmarkt würde sich abschwächen und eine Rezession hervorrufen.” „In den DSGE-Mo­dellen … können wegen … rationaler Erwartungen und intertemporaler Opti­mie­rung keine Krisen entstehen”[8].

In SFC-Modellen gibt es drei Gleichungsarten[8]: „stets

(1) Gleichungen, die einen Zusammenhang zwischen Bestands- und Flussgrö­ßen herstellen,

(2) Gleichungen, die Bezüge zwischen Flussgrößen untereinander herstellen, sowie

(3) Verhaltensgleichungen” (z.B. Konsumfunktionen oder bestimmte Preisan­passungsprozesse).

Es „wird … kein allgemeines Gleichgewicht angenommen,” sondern „die Modelle beschreiben … instationäre Anpassungsprozesse.”[8]

Die SFC-Methode „als Alternative zur und Werkzeug zum Kritisieren der Main­stream-Ökonomik … Es werden Buchführungsfehler im Munding-Fleming Mo­dell, in Standardmodellen der Neoklassik wie auch in einem kürzlichen IMF-Diskussionspapier nachgewiesen.”[10, übersetzt]

Durch den Wegfall von mikroökonomischen Problemen wie Nutzenmaximierung (beim Konsum) und Profitmaximierung — die sich zwar in den Märkten auswir­ken, nicht aber auf die Wirtschaftssektoren als Ganze — ist mittels einer adä­quaten grafischen Notation (siehe links oben die Sektion „Grafische Notati­on und Animation”) auch eine konsistente grafische Modelldarstel­lung (siehe auch die mathematische Behandlung in [12]) der gesamten Makroökonomie mög­lich, die sogar eine anschauliche Animation aller syste­mischen makroökonomi­schen Wirtschaftsprozesse erlauben könnte.


[1]) WikipediA: „Dynamische stochastische allgemeine Gleichgewichtsmodelle”. Abgerufen am 12.1.2020.
[2]) Michael Heine, Hansjörg Herr: „Volkswirtschaftslehre: Paradigmen-orientierte Einführung in die Mikro- und Makroökonomik”. Oldenbourg Wissenschaftsverlag, Erstausgabe 2003, 4. Auflage, München 2013, S. 546.
[3]) Hans-Werner Wohltmann: „mikroökonomische Fundierung der makroökonomischen Theorie”. Gabler Wirt­schafts­lexikon, Revision vom 19.2.2018.
[4]) Michael Heine, Hansjörg Herr: a.a.O., S. 546-547.
[5]) Michael Heine, Hansjörg Herr: a.a.O., S. 561.
[6]) S. Jay Levy: “Profits — The Views of Jerome Levy and Michał Kalecki”. Levy Institute, Working Paper No. 309, August 2000.
[7]) Wynne Godley, Marc Lavoie: “Monetary Economics. An Integrated Approach to Credit, Money, Income, Pro­duction and Wealth, Palgrave Macmillan, New York 2012 (Erstausgabe 2007).
[8]) WikipediA: „Stock-Flow Consistent Model”. Abgerufen am 12.1.2020.
[9]) Michael Paetz: „Makroökonomik für Betriebswirte”, Wintersemester 1919/20. Universität Hamburg, 10.2019.
[10]) Sylvio Kappes, Marcelo Milan: “The Stock-Flow Consistent Method: Analytical Tools, Evolution, and a Critique of the Mainstream”, ResearchGate publication 305692209, 28 .7.2016.
[11]) “What if they start saving again? Wynne Godley on the US economy”, London Review, Vol. 22/13, 6 .7.2000.
[12]) P. Fennell, D. O’Sullivan, A. Godin, S. Kinsella: “Visualising stock flow consistent models as directed acyclic graphs”, SSRN paper 2492242, 5.9.2014.

Oskar Fuhlrott,